Erinnerungen von Wolfgang Bollmann

Wilhelmshaven

Peterstraße 1

Das Haus steht immer noch in Wilhelmshaven, Göckerstraße - Ecke Peterstraße. Es ist mein Geburtshaus. Wenn wir mit dem Trolleybus von Fedderwardergroden, wo ich die ersten Jahre meines Lebens verbrachte, zur Oma Mimmi nach Bant fuhren, zeigte mir Mutti dieses Haus: "Hier bist du geboren! Da, wo direkt auf der Ecke das Tabakgeschäft Post ist." Später erzählte sie mir die Geschichte meiner Geburt:
Die Hebamme hätte gesagt: "Dat hät noh Tied," und verließ das Haus. Es dauerte jedoch nur eine kurze Zeit und sie verspürte die ersten Wehen. Helmut, mein Vater, wurde zur Hebamme geschickt, um sie zu holen. Telefon?! 1947!! Vati war weg und sie glaubte, doch noch einmal zu müssen - zur Toilette! Die war auf dem Flur, so daß für die kleinen Geschäfte ein Eimer in der Wohnung zur Verfügung stand. Das, was jedoch nach dem Niederhocken herauskam, war nicht das erwartete, sondern ICH. Mein erster Blick auf diese Welt fiel in einen schönen Zinkeimer. Die Schilderung verließ die näheren Einzelheiten und fuhr fort mit dem Ankommen des Vaters mit der Hebamme , die beide, Mutter und mich, wohlbehalten im Bett liegend, noch durch die Nabelschnur verbunden, vorfanden. Immer, wenn ich mich später in Wilhelmshaven aufhielt und ich die Peterstraße, die ganz Wilhelmshaven von Ost nach West durchquert, befuhr oder überquerte, erschien vor meinen Augen diese Geschichte und der "Tabakladen Post auf der Ecke".

Fedderwardergroden

Weichselstraße 49

Wir wohnten in diesem Haus ganz am Ende der Straße, auch im letzten Eingang dieses Hauses mit zwei Etagen und unserer Dachgeschoßwohnung. Es gab ein kleines dunkles, nur mit einer Dachluke versehenes Kinderzimmer. Das andere Kinderzimmer, hell und sonnig, lag an der Giebelseite und wurde von Opa Engel, Mutters Vater, belegt. Er hatte Asthma. Ich weiß jedoch nur noch über ein Foto, das in zeigt, auf die Brüstung des Fensters mit beiden Ellbogen gestützt, aus diesem Fenster lächelnd schauend, daß er anfänglich wohl noch aufstehen konnte. Ich kann mich nur noch an einen meistens lieben Mann erinnern, der immer im Bett lag. Er liebte Tee zu trinken und forderte neuen, indem er mit dem Teelöffel gegen die Tasse schlug. Dies ging der Mutti manchmal an die Nerven, was sie später auch mal sagte. Nicht durch eigenes Erinnern, sondern durch Erzählen der Eltern, weiß ich, daß Opa Engel von Vater auf dem Arm die Treppen herunter getragen wurde, um ihm die Sommerwärme draußen spüren zu lassen. An die kunstvoll aus Glas geformte Vorrichtung, ein flaches Oval, mit einen unteren Ansatzrohr zur Aufnahme des roten Gummischlauches, der mit dem Blasebalg die Luft zu Versprühen des eingefüllten Medikaments lieferte, welches aus dem oberen gebogenen Rohr direkt in den Mund gesprüht wurde, kann ich mich noch gut erinnern. Dieses Sprühgerät lag immer in seiner Nähe.
In dem kleinen, dunklen Kinderzimmer schliefen Hartmut, der inzwischen geboren war, und ich. Das Kinderzimmer lag direkt neben dem Schlafzimmer der Eltern und war nur von hier aus zugänglich. Hartmut, daran kann ich mich noch erinnern, hing lange am Schnuller und Mutti hatte schwer zu kämpfen, es ihm abzugewöhnen. Während ich schon ein Bett hatte, wo ich frei heraus kam, lag Hartmut noch in seinem Gitterbett. Die schönste Zeit des Tages war nach Mittag, wenn Mutti Hartmut zum Schlafen gelegt hatte und mit mir zusammen in der Wohnküche an einem kleinen runden, mit einer Häkeldecke bedeckten Tisch, Tee getrunken hat, wozu sie stets kleine Kekse hatte. Das Leben spielte sich in diesem Zimmer ab. Dazu gehörte auch das Sofa, das man noch auf dem Foto wieder findet, das uns alle drei, die in Wilhelmshaven geboren sind, Hartmut, Detlef und mich, zeigt. Weiterhin gehörte zu der Küche noch ein großer Kohleküchenherd mit glänzenden Chromstangen als Abstandhalter und Trockenstange für Geschirrtücher. Hier haben wir Kinder viel gespielt. Mit einem vierbeinigem Hocker, Stühlen und ein paar Wolldecken haben wir mit den daraus gebauten Eisenbahn, Höhlen, Autos und Schiffen die ganze Welt befahren.

Der frisch gemähte Rasen gab das Material für das Haus zum "Mutter und Kind" spielen. Hiermit wurde der Grundriß der Wohnung durch angehäufelte Graswälle erstellt. Adele Tönjes, genauso mit Zöpfen wie Edith Uckermann, die schon älter war, spielte oft die Mutter. Adele wohnte unten links in unserem Eingang und war, so weit ich mich erinnern kann, die jüngste von sechs Geschwistern. Sie war genauso alt wie ich und war mit mir zusammen in der ersten Klasse an der Schule an der Salzastraße. Wie Edith, so habe ich damals gedacht, sollte meine Freundin aussehen und genau so schöne lange Zöpfe haben, wenn ich einmal älter war. Wir haben "Mutter und Kind" meistens auf dem Endstück des Rasens zur Zoppoter Straße gespielt, das man noch auf dem Bild erkennen kann, auf dem Hartmut und ich (und Detlef?, wo ist das Bild?) unter dem Straßenschild vor unserem Haus zu sehen sind. Wir saßen immer Sommer oft auf der Treppenstufe vor dem Haus, alle Kinder aus dem Eingang und auch von nebenan, auch die älteren, und spielten "Namenraten".
Ich erinnere mich daran, daß wir einmal "Zoo" gespielt haben. Hierzu hatten wir Kinder alles, was sich einfangen ließ, in Weck- und Marmeladengläser eingesperrt, Schmetterlinge und Libellen, Käfer und Regenwürmer, Ameisen und Marienkäfer. Sie wurden in einer Reihe auf einer Bank, die aus einem Brett und zwei Stapeln Ziegelsteinen gebildet worden war, aufgestellt. Eintritt für die Kinder der Nachbarschaft waren fünf Pfennig, aber wir waren bei den ganz kleinen auch mit einem oder zwei Pfennig zufrieden. Auf der Straße wurde des Öfteren Fußball gegen die andere Straße gespielt. Hierbei , so meine ich, gab es keine festgeschriebene Anzahl von Mannschaftsmitgliedern und auch die Altersklasse war von klein bis groß nicht beschränkt. Gespielt wurde mit einem schwarzen Gummiball, der, wenn man ihn ins Gesicht geschossen bekam ganz schön schmerzte, und der im Keller unterhalb der Treppe in unserem Eingang von den Tönjesbrüdern aufbewahrt wurde. Einmal fiel im Sommer soviel Regen, daß die Straße unter Wasser stand, was dann von uns Kindern noch weiter dadurch unterstützt wurde, daß wir die Gullys mit Graspfladen, die man zwischen Steinen des geklinkerten Gehweges fand, abdichtete. So hatten wir den ganzen Nachmittag ein Freibad vor dem Haus. Übrigens, Autos!? Wer sollte die denn besitzen? Ja, da gab es einen bei uns im Eingang. Onkel Simon - alle Erwachsenen waren für uns Kinder damals Onkel oder Tante - , er war Fleischer, hatte einen Mercedes. Er sollte, so wurde gemunkelt, im Toto gewonnen haben, Von Lotto war damals noch keine Rede. Es war wirklich selten, wenn ein Auto in unserer Straße erschien.

An der Ecke zum schwarzen Weg, der zum "Lager" führte, hatte "Milo" seine kleine Bude. Hier gab es für die Erwachsenen Tabak und Blättchen, Zigaretten und Streichhölzer, für die Kinder Bonbons, Nappos, "Sahnebonschen" und andere schöne Sachen. Hier mußte ich für Mutti immer "Golddollar" kaufen, Sechserpackung für 50 Pfennig. Hier habe ich auch das kleine Einmaleins-Heftchen für 10 Pfennig gekauft, woraus ich schon fleißig geübt hatte, bevor ich zur Schule kam.
Das "Lager" bestand aus mehreren grün gestrichenen Holzbaracken und wurden von - so weiß ich es nur - armen Leuten bewohnt. Der Kontakt zu den Kindern war, obwohl es nur schräg über die Straße war, gleich null. Ich kann mich nicht erinnern, jemals mit einen von ihnen gespielt zu haben. Wer darin wohnte, ob Flüchtlinge, Aussiedler oder andere Wohnungslose, weiß ich nicht.
Die Verlängerung der Weichselstraße über unsere Ecke hinaus, war noch etwa 30 m lang und wurde durch einen schmalen Fußweg fortgesetzt, der zum abschließenden Graben des angrenzenden Weidengeländes führte. Indem Zwickel dieser Verlängerung und Zoppoter Straße hatte die Familie Tönjes einen kleinen Garten angelegt, der ein reiner Nutzgarten war. Ich erinnere mich in der Hauptsache an die Roten Beeten die dort immer zu finden waren. Der angesprochene Graben wurde von einem schmaleren Graben, der wie ein Bach aussah, gespeist. Hier konnte man manchmal mit Glück Stichlinge fangen. Aber es gab hier auch Blutegel, vor denen wir alle Angst hatten, daß sie sich an unseren Beinen festbeißen würden, wenn wir barfuß durch den Bach liefen.
Dieser Graben, an der breitesten Stelle wohl drei bis vier Meter breit, war, wie man sich denken kann, ein wirklich beliebter Spielplatz. Hier haben wir ein Floß aus alten Benzinkanistern, Bretter und viel Stricken gebaut und sind damit über den Graben gepaddelt. Er war Ausgangspunkt im Winter für die Wanderung auf den Gräben mit Schlittschuhen, wozu uns "die großen" gnädigerweise mitnahmen. Die Schlittschuhe sahen damals noch etwas anders aus wie heute. Sie wurden als eigene Stahlkonstruktion, genauso wie die Rollschuhe, noch unter die Schuhe an den Schuhsohlen festgeklemmt, was so manche, nicht ganz so kräftige Schuhe nicht überstanden. Weckglasgummi war eine gute Verstärkung und wurden um den vorderen Teil des Schuhs und des Schlittschuhs geschlungen, hatten jedoch den Nachteil, wenn sie zu stramm waren, das Blut abzusträmmen und die Füße schnell erkalten zu lassen. Die Erinnerung an diese langen kalten Ausflüge bei klarem Winterwetter und Rückkehr zum Sonnenuntergang werden nicht so schnell vergessen werden.
Nachdem die ersten wärmenden Sonnenstrahlen das Eis zum Schmelzen brachten, habe ich versucht, mit Gummistiefeln angetan, noch über den zugefrorenen Graben zu laufen, auf dem das Schmelzwasser schon bald 10 Zentimeter hoch stand. Das mußte schief gehen, und es ging schief. Es hatten sich nämlich schon Löcher in der Eisdecke gebildet, welche man wegen des aufstehenden Wassers nicht sehen konnte. In ein solches Loch bin ich gerutscht. Es war - Gott sei Dank - gerade so schmal, daß ich nur bis zu den Achseln einsackte. Ich konnte mich selbst wieder herauswinden, und rannte nach Hause. Hier wurde ich zur Erwärmung in die Badewanne gesteckt, bekam aber keinen "Arsch voll", weil die Mutti wohl so froh darüber war, daß es so glimpflich abgelaufen war.
Wir Kinder waren wohl auch nicht immer so artig, wie es sich die Eltern gewünscht hätten. Einen Nachmittag verbrachten Hartmut und ich auf dem Sofa sitzend, einer ganz links, einer ganz rechts, und es war verboten zu sprechen. Das war die Strafe dafür, daß wir , während die Eltern aus dem Haus waren, versucht hatten mit einer Kerze Licht in das Dunkel unter dem Sofa zu bringen. Dabei waren dann einige Gurte, die Federn trugen, angekokelt, ja sogar durchgebrannt. Als die Eltern nach Hause kamen, hatten sie sofort bemerkt, daß etwas nicht stimmte. Nach Beichte setzte es bei beiden etwas hintendrauf und dann kam die schon erwähnte Sitz- und Schweigestrafe, die um vieles härter war, als der kleine "Hinternvoll".
Wenn auch beim normalen Spielen draußen Hartmut mit anderen Kindern spielte, "- der war ja noch so klein -" ließ er aber seinen Bruder nicht im Stich, wie Mutter erzählte. Sie hatte beobachtet, daß ich mich mit einem anderen Jungen balgte. Der hatte die Oberhand gewonnen und lag auf meinem Körper. Da sei Hartmut angelaufen gekommen und hätte dem viel größeren Jungen so kräftig in den Po gebissen, daß dieser, den Hintern mit beiden Händen haltend, schnell weggerannt sei.

Voslapp

Geniusstrand

Voslapp war das touristische Aushängeschild von Wilhelmshavens Norden. Viele der dort gebauten kleinen Siedlungshäuschen hatten Ferienzimmer, die wohl auch früher wohl mal gut belegt waren. Jedenfalls sah man von Voslapp aus, wenn wir zu Fuß zum Geniusstrand pilgerten, viele Leute auf der Straße, die über den Deich zum Strand führte. Das schönste, was man mitbekam, war von Mutter selbst gemachter Kartoffelsalat. Der Strand war viel größer als heute und von der Straße am Deich lang konnte man noch den alten Voslapper Leuchtturm sehen. Am Ende des Strandes, dort wo der Deich auslief, lag im Sand ein altes Fischerboot. Hierin konnte man wunderbar Pirat spielen. In den Dünen lagen wir und ließen uns die Sonne auf den Pelz scheinen. Obwohl es damals kaum Sonnencreme gab, kann ich mich nicht erinnern, daß ich als Junge jemals Sonnenbrand gehabt hätte. Am Geniusstrand bin ich bei späteren Besuchen immer wieder gewesen, selbst bis heute, da er den Namen nicht mehr verdient.

Verwandte in Fedderwardergroden

Onkel Ruth und Onkel Günter

In Fedderwardergroden wohnte damals schon in der Oderstraße Tante Ruth und Onkel Günther. Sie hatten drei Kinder. Ingrid, Edda und Marion, unsere Cousinen. Während Ingrid und Edda deutlich älter sind (für Fünfjährige sind Siebenjährige schon sehr alt), war Marion in dem Alter von Hartmut.
Tante Ruth ist keine leibliche Schwester von unserer Mutter. Sie wurden jedoch schon in frühester Kindheit zusammen von Oma Engel, Mutters Mutter, großgezogen. Wenn ich an Edda denke, erinnere ich mich nur daran, daß sie am Tisch saß und Schularbeiten machte und dabei der Füller wohl ausgelaufen war. Ihre ganzen Finger waren von der Tinte blau gefärbt. An Ingrid habe ich aus dieser Zeit keine Erinnerung. Bei Marion erinnere ich mich noch an einen Geburtstag; und hierbei nur an einen kleinen grünen Kindertisch, an dem sie stand.
Reich waren sie für mich, weil ich meinte, daß Onkel Günter damals Arbeit hatte und nicht wie Vater immer auf Arbeitsuche war. Außerdem mußte Mutter anderen Leuten zu Hause die Haare machen. Weil wir Kinder noch klein waren, konnte sie ja nicht bei einem Friseur arbeiten. Onkel Ruth und Onkel Günther ist auf meine Anrede von Tante Ruth zurückzuführen. Bei mir wurde sie meistens zu Onkel Ruth, wahrscheinlich wegen ihres jeweiligen sehr bestimmenden Auftretens.

Arbeit

ohne, mit und schwarz -

Der Vater hatte Klempner und Installateur gelernt, mehr auf Anordnung von Opa Bollmann, als aus freien Stücken. Vater hat immer erzählt, daß er gerne Polizist geworden wäre, aber der Großvater dies nicht zugelassen hätte. Die Arbeitssituation muß in Wilhelmshaven wohl sehr schlecht am Anfang der fünfziger Jahre gewesen sein. Jedenfalls war er immer wieder längere Zeit arbeitslos. Mutter sagte, wenn er dauern arbeitslos gewesen wäre, wäre dieses besser für uns gewesen, als so. Durch die nach dem Arbeitsloswerden fälligen Karenztage, für die kein Arbeitslosengeld gezahlt wurde, bekam er weniger als die, die dauernd ohne Arbeit waren. Ich weiß noch, daß Vater öfter für kurze Zeit beim "Fahrzeugbau", die Omnibusse herstellten, als Karosserieklempner gearbeitet hatte; aber jeweils nur kurze Zeit. Auch hatte er mich auf dem Fahrrad mitgenommen, zu der Stelle, wo es damals Arbeitslosengeld gab; ich meine es war an der Ecke der Verlängerung Posener Straße - Möwenstraße, jedenfalls nach Voslapp Richtung Geniusstrand raus. Hier standen immer sehr viele Männer zusammen und rauchten Zigaretten und warteten.
Mutter, die Friseuse gelernt hatte, konnte wegen uns kleinen Kindern nicht bei einem Friseur arbeiten. Sie arbeitete daher schwarz zu Hause. Von den scharfen Mitteln, die man damals bei der Dauerwelle und beim Haare färben verwendete, hatte sie öfter ganz rissige Hände. Es gab auch schon mal Streit, wenn am Sonntagmorgen noch jemand zum Frisieren kam. Aber das Geld wurde dringend gebraucht.
Reich jedoch waren die Eltern bestimmt, reich an Liebe, die sie sich gegenseitig gaben und die sie uns gaben.
Der Vater war mit dem Fahrrad viel mit uns unterwegs, so sagte Mutter. Meine eigenen Erinnerungen sind verblaßt.

Einkaufswelt

Eingekauft haben wir bei Kaufmann an der Ecke, beim Kaufmann Erling. Es war noch ein Tante Emma Laden. Jeder Kunde wurde noch von einer Verkäuferin oder einem Verkäufer bedient. Ich war damals immer ganz gierig auf Suppe, die man aus einer Erbswurst kochte. Diese hingen immer direkt über dem Tresen und ich quengelte immer solange, bis Mutter eine mitnahm.
Die Hauptgeschäftsstraße von Fedderwardergroden lag nicht weit weg. Sie hieß Posener Straße. Die Straße war für die damaligen Verhältnisse sehr großzügig gebaut worden. Jede Fahrtrichtung hatte zwei Fahrspuren, die durch einen großen Mittelstreifen getrennt waren. Sie war so groß, daß hier immer der Rummel stattfand. Für nicht norddeutsch gebildete Leser, es ist die Kirmes oder die Dult gemeint. Außerdem wurde hier der Markt abgehalten. Es war immer sehr schön, mit der Mutter hier einkaufen zu gehen. Beim Bäcker in der Nähe der Bachbrücke bekam ich immer ein Bezier. In das Drogerie- und Seifengeschäft "Seifenpuls" ging ich wegen der schönen Gerüche besonders gern. An der Ecke zur Preußenstraße, mit Eingang von dort, war eine schöne Apotheke, die sich durch eine schöne weite Treppe als Aufgang auszeichnete. Milch wurde am anderen Ende der Posener Straße bei Jansen eingekauft. Hier waren die Häuser zu kleinen Flachbauten geworden und es ging dem Stadtausgang zu. An der Ecke Posener Straße / Salzastraße lag links eine etwa quadratischen Senke, die jeweils gegenüber dem Straßensaum von einer Reihe barackenähnlicher Holzhäuser gesäumt wurde. Hier gab es ein Schuhgeschäft und einen Schuster und, so glaube ich, unterhielt hier die Jade, die größte Baugesellschaft und Eigentümerin von Wohnungen in Wilhelmshaven anfänglich ein kleines Büro. In dem Schuhgeschäft hat , so glaube, Edda gearbeitet. Gegenüber dieser Senke lag ein Tanzlokal, welches jedoch nur in der ersten Nachkriegszeit bis in die fünfziger Jahre Zulauf hatte,. Ein Foto, was Mutter und Vater zeigt, ist dort aufgenommen worden. Früher war es selbstverständlich, daß in solchen Lokalen immer kleine Kapellen zum Tanz aufspielten. Den Namen des Lokals kenne ich nicht mehr; ich erinnere mich nur noch daran, daß auf dem Dach, das im Eingangsbereich als Kuppel ausgebildet war, eine kleine Kugel schwebte, die von einer sie senkrecht durchbohrenden Stange getragen wurde. Es muß hier früher hoch hergegangen sein

Schule

Die Schule, die ich besuchte, nannte sich damals noch Volksschule. Sie war in den fünfziger Jahren noch als Regelschule zu betrachten. Ich kann mich an keinen in unserer Straße erinnern, der eine andere Schule besucht hätte. Die Schule lag an der Salzastraße und hieß auch so. Wir brauchten für den Fußweg dorthin etwa eine viertel Stunde. Da Adele Tönjes bei uns im Haus wohnte, gingen wir meistens gemeinsam zur Schule und kamen auch gemeinsam nach Hause. Mein erster Klassenlehrer war Herr Knorr, der sehr nett war. Die ersten Worte lernten wir in der Ganzwortmethode. An der Tafel hingen Bilder mit den dazugehörigen Worten wie Puppe, Ball, Dora oder Peter. Es ging recht schnell vorwärts mit dem Lesen. Der erste Roman, der von mir gelesen wurde, war ein Wildwestroman und trug den anspruchsvollen Titel "Untergang der Derring-Bande". Ich habe diesen Roman bestimmt mehr als fünfmal gelesen.
Als wichtiges Ereignis ist mir noch in Erinnerung geblieben, daß einer aus unserer Klasse, sein Name war Wolf - Dieter P., einer ganz grausamen Tat bezichtigt wurde. Er sollte einer Katze, die er gefangen hatte, mit seinem Fahrtenmesser die Augen ausgestochen haben. Er war ein sehr kräftiger Junge und immer sehr eigenbrötlerisch gewesen. Ich hatte ihm das zugetraut. Wer ihn beobachtet hatte und wer es in die Schule getragen hatte, daran erinnere ich mich nicht mehr. Weiterhin war ich in einer Turnstunde sehr stolz darauf, daß ich es als einer der wenigen in der Klasse es schaffte, Kieselsteine, die der Herr Knorr zur Turnstunde mitgebracht hatte, nur mit den Zehen eines Fußes aufzuheben.
Die Salzastraße war zur Fahrbahn hin von Stechapfelsträuchern gesäumt, die, so hatte uns Mutter eingeschärft, nicht gegessen werden durften, da sie sehr giftig wären. Die Früchte eigneten sich jedoch sehr gut als Wurfgeschosse, die wir immer Sommer dann nutzten, um uns damit zu bewerfen.
An einem Tag, am Anfang oder Ende eines Winters, fiel Regen, der jedoch auf meinem Anorak sofort gefror und ihn bedeckte wie ein Zuckerüberzug bei kandierten Früchten. Bei größeren Bewegungen der Arme brach diese Schicht wie eine dünne Glashaut. Das war der erste Eisregen meines Lebens. Ähnliches habe ich erst wieder erlebt, als ich schon Motorrad fuhr.

Bant

Bahnzeile 16

Oma und Opa Bollmann wohnten auf der anderen Seite der Stadt, im Süden zum Jadebusen hin. Die Bahnzeile war eine Sackgasse, die in erster Linie von Eisenbahnern bewohnt wurde. Das Gelände gehörte der Bundesbahn. Es lag nahe der Bahnlinie, die zum Hauptbahnhof von Wilhelmshaven führte. Vor dem Krieg wurde es als Schrebergarten genutzt. Nach dem Krieg hatte man zur Schaffung von Wohnraum Behelfsheime gebaut. Sie bestanden ursprünglich aus zwei Wohnräumen und einem winzigen Flur als Eingang. Es war aus Fertigbauteilen errichtet. Dünndoppelwandige Betonplatten, die zwischen als Doppel-T-Träger ausgebildete Betonstützen eingesetzt wurden, bildeten die Wände. Das Dach war als Flachdach ausgeführt und wurde in regelmäßigen Abständen geteert. Das Grundstück, auf dem das Haus stand, war ca. 400 qm groß. Fast alle hatten dieses Behelfsheim durch Anbauten auf einen mehr oder minder großen "Bungalow" erweitert. Die beiden ursprünglichen Räume bildeten Schlafzimmer und Küche. Das Wohnzimmer war später mit Halbstein starken Wänden angebaut worden und von der nunmehr in der Mitte liegenden Küche zu erreichen. Der ursprüngliche Flur hatte seine Funktion gewechselt und war nunmehr, wegen seiner kühlen Lage auf der Schattenseite des Hauses, zur Speisekammer gewandelt. Das Haus war von der Bahnzeile her über eine Pforte und einen Weg, der am Haus entlang auf die Rückseite des Hauses führte, zu erreichen. Diese Seite öffnete sich zur Südseite und dem dort gelegenem ehemaligem Nutzgarten. In dem durch den "Stall" und den Wohnräumen gebildetem Winkel spielte sich im Sommer der größte Teil des Lebens ab. Hier stand eine Bank, ein runder alter, mehrfach gestrichener grüner Eisentisch und ein Stuhl und bei Bedarf ein Hocker oder weitere Stühle aus der Küche. Der "Stall" war eigentlich ein Multifunktionsraum. Er war der Flur, denn durch die Eingangstür erreichte man nach rechts abbiegend die Küchentür. Gleich neben dieser Küchentür stand der Kupferkessel, in dem mit Kohlenfeuer die Wäsche gekocht wurde. Gegenüber der Eingangstür lagen die Türen für die im Anbau untergebrachte Toilette, die anfänglich noch ein Plumpsklo war, und dem Kartoffelkeller. Das Plumpsklo war mit gelber Ölfarbe gestrichen und einem winzigen Fenster ausgestattet. Das Fenster öffnete sich in den Auslauf des Hühnerstalles, der maschendrahtbegrenzt sich L-förmig um die Schmal- und rückwärtige Längsseite des "Stalles" legte. Am Ende des Stalles an der Schmalseite wurden die Eierkohlen in einer gemauerten Koje und die gestapelten Unionbriketts gelagert. Das Heizen mit diesen Brennstoffen verbreitete diesen eigentümlichen Geruch, der immer, wenn ich ihn in späteren Jahren wieder in die Nase bekam, dieses Gefühl von Wohlbehagen und Wärme erzeugte. Oberhalb von dem Kohlenkasten lagen in einer Hängevorrichtung aus Dachlatten alle langstieligen Gartengeräte und die Trittleiter. Links davon, an der Wand, hing noch ein hölzerner Werkzeugkasten, der gleichzeitig auch der Aufbewahrungsort für allen möglichen Krimskrams wie Schrauben, Nägel, Bindfaden und andere wunderschönen Dinge war, die man für alles Mögliche beim Spielen einsetzen konnte. Diese Ecke des Hauses war ein unerschöpfliches Reservoir an Material für alle schönen Spiele. An eine schöne Sache kann ich mich noch gut erinnern. Die Trittleiter wurde durch das Abdecken mit einer Wolldecke zu meinem Haus und meiner Werkstatt. Ich hatte Lötzinn gefunden. Es hatte die Größe eines Marzipanbrotes. Davon habe ich dünne Scheiben mit Opas Eisensäge abgesägt und daraus dann kleine Besteckteile, wie Messer und Löffel und Schüsselchen gehämmert. Eine Eisenbahnschiene (Opa war bei der Eisenbahn) diente dabei als Amboß. Der Garten war Lieferant für das Material, was damit bearbeitet wurde: Erdbeeren, Karotten, Bohnen, Erbsen und Äpfel und Birnen.
Damals gab es zur Stadtseite der Bahnzeile noch eine Verlängerung der Bahnzeile bis zur Werftstraße, die als schwarzer Ascheweg ausgeführt war. Der Banter Weg, der heute Alter Banter Weg heißt, führte damals noch vom Paul Hug Kinderheim aus, den Gasometer an der rechten Seite, den Westbahnhof mit benachbarten Bunker an der linken Seite liegen lassend über den beschrankten Bahnübergang am Westbahnhof und dem unbeschrankten Bahnübergang für die Stichstrecke Richtung Industriegelände vor und hinter dem Jadebad, an der Bahnzeile vorbei zum Kanal.
An der Ecke Banter Weg und Bahnzeile lag an der rechten Seite ein von Weiden umschlossenes Grundstück mit einem kleinem Haus und Garten. Hier wohnte, ich kann es nicht mehr genau zeitlich einordnen, eine ältere Dame, die Ziegen und Schafe hielt, die auch schon mal auf der gegenüberliegender Brachfläche angepflockt waren. Hier kamen wir Kinder auf die Idee, das alte Spielchen, Portemonnaie am Bindfaden und im Graben liegen, bei geweckter Begehrlichkeit weg zu ziehen, abzuwandeln. Es wurden aus alten Tapetenresten als Packpapier Päckchen geschnürt, die mit Brennnesseln und den auf der Schafwiese reichlich zu findenden "Schafkötteln" gefüllt waren. Mit einer Adresse versehen, wurden sie auf dem Banter Weg ausgelegt und gaben Anlaß zu viel Spaß. Ein Finder steckte es nach kurzem Umsehen, uns Kinder nicht entdeckend, in seine Aktentasche und wird sich beim Öffnen zu Hause doch wohl sehr über seinen tollen Fund gewundert haben. Ein anderer wollte sein gefundenes Päckchen auf seinen Fahrradgepäckträger klemmen. Dabei platzte die Verpackung auf und seine Gesichtszüge entgleisten. Leid tat mir eine alte Frau, die, ärmlich gekleidet, das Päckchen aufnahm und es umständlich in ihrer Handtasche verstaute. Das, so wurde hinterher, als wir darüber sprachen, von allen uns Jungen so gesehen, aber keiner hatte sich getraut, das Muttchen zu warnen oder sich bemerkbar zu machen, um das Mißtrauen zu wecken.

Diese Kapitel harren noch der Bearbeitung:

  • Oma Mimmi und Opa Hinnerk
  • Onkel Hermann
  • Tante Frieda und Onkel Ernst
  • Tante Rieke und Onkel Fidi
  • Tante Käte und Onkel August
  • Die Drei von der Bahnzeile
  • Tante Marta und Onkel Heini
  • Onkel Hermann von Hollen
  • Urgroßoma
  • Das erste Fahrrad
  • Marga
  • Kinderstreiche
  • Jadebad
  • Südstrand
  • Klein Wangeroge
  • Hafen